Die Nazi-Brücke als Nachbarin
Fragment
einer Bahnquerung steht seit 73 Jahren in Karben - Niemand fühlt sich
zuständig - Abriss für S 6-Ausbau
Von Dennis
Pfeiffer-Goldmann

So massiv und doch
in Vergessenheit geraten: Aus der Nazizeit stammt die Brückenruine im
Heilighäuser Ring in Okarben. Ihre Tage sind nun aber gezählt. Foto:
Dennis
Pfeiffer-Goldmann
Zehntausende
Menschen fahren mit der Bahn oder dem Auto jeden Tag vorbei, und doch
ist es ein vergessener Ort: Mitten in Karben steht seit 73 Jahren das
Fragment einer Nazi-Brücke. Die Anwohner haben sich mit dem
Betongiganten arrangiert. Doch keine Behörde fühlt sich für das Bauwerk
verantwortlich. Karben. Mit lauten
Fl�gelschl�gen stieben die V�gel auseinander, als Wilfried Springer (62)
die T�r zum Taubenschlag �ffnet. 30 bis 40 Tiere leben in der Holzh�tte
am Rand von Okarben. "Ich habe das von meinem Vater �bernommen",
erz�hlt der Pension�r. Ganz mit dessen Inbrunst aber pflegt der Sohn das
Hobby nun nicht mehr, sondern er h�lt den Taubenschlag offen. "Was
zufliegt, ist willkommen." Das ersetzt auch die Verluste. Denn Bussarde
dezimieren die Zahl der Tieren immer wieder. Und Z�ge. Der
Taubenschlag ist am ungew�hnlichsten Ort der Stadt untergebracht: mitten
im Fragment der Karbener Nazi-Br�cke.
Ein Autobahn-Zubringer?
Die
massive Betonruine spannt sich in Okarben �ber die Gleise der
Main-Weser-Bahn. Auf der Ostseite g�hnt das Widerlager des fertigen,
aber nie genutzten Bauwerks in die Dorfstra�e. Darin wohnen
windgesch�tzt Springers Tauben. �ber die Jahrzehnte haben sich
die Karbener an das Bauwerk gew�hnt. Sie nennen es "das Momument". Von
der nahen B 3 aus ist es zugewachsen kaum zu erkennen.
Wer im Intercity oder im Regionalexpress sitzt,
nimmt die Br�cke allenfalls als winzigen Moment der Dunkelheit wahr.
Wenn �berhaupt. So geriet sie in Vergessenheit. Heute ist selbst ihr
Zweck ein R�tsel. "Sie wurde 1938/1939 gebaut",
berichtet Lieselotte P�hlmann (71), die Schwester von Wilfried Springer.
Sie wohnt direkt gegen�ber des Betongiganten. 1955 zog ihre Familie
hier ein. "Die Br�cke war unser Spielplatz, abenteuerlich." Was es mit
ihr auf sich hatte, erfuhr der kleine Wilfried damals auch: "Man wollte
eine Zufahrt nach Okarben schaffen ohne Bahn�bergang."
Vor dem Krieg war das Gel�nde noch Acker. Erst nach
dem Krieg entstanden die Wohnh�user am Heiligh�user Ring. In
Einfachbauweise. Schnell musste es gehen, um Heimatvertriebene
unterbringen zu k�nnen. So wie Familie Springer mit drei M�dchen und
vier Buben. Dass das Bauwerk, breit genug f�r zwei
Fahrstreifen, aus der Nazizeit stammt, darauf deuten Baustil und
Stampfbeton-Bauweise hin. Mitte der 1930er-Jahre sei es errichtet
worden, best�tigt Gerd Klein. Er ist Vorsitzender des Geschichtsvereins
Karben, war Anfang der 70er-Jahre Gr�ndungsb�rgermeister in der Stadt.
Der langj�hrige Okarbener B�rgermeister Carl M�ller habe zwar einen
�ber�rtlichen Zweck bestritten. "Aber es kann nur f�r �ber�rtliche
Zwecke gedacht gewesen sein." Klein sch�tzt, dass eine Ost-West-Stra�e
von der damals neu er�ffneten Autobahn bei Burgholzhausen nach
Heldenbergen geplant war. Auf historischer Trasse: "Das Bauwerk liegt
genau in der Verbindungsachse der alten R�merstra�e, die die
R�merkastelle Heldenbergen und Okarben verband."
Wilfried Springer zweifelt diese Vermutung an. Der langj�hrige Postbote
vermutet: Die Okarbener sollten eine f�r jene Zeiten hochmoderne
Ortszufahrt via Br�cke bekommen. Darauf musste das Dorf 60 Jahre und
einige schreckliche Unf�lle mit vielen Toten lang warten: Erst vor zehn
Jahren ersetzte die Omega-Unterf�hrung den Bahn�bergang in der
Hauptstra�e. Das Br�ckenfragment birgt noch ein ganz
anderes Faszinosum: Es scheint herrenlos zu sein. Keine Beh�rde sieht
sich daf�r zust�ndig. Im Karbener Rathaus zuckt man
mit den Schultern. "Wir haben keine Unterlagen dar�ber vorliegen",
erkl�rt Stadt-Sprecher Ekkehart B�ing. "Wem das Bauwerk geh�rt, wei�
keiner so genau." Vielleicht dem Land? Fachmann
Rainer Schmalz forstet im Gelnh�user Amt f�r Stra�en- und Verkehrswesen
extra das Verzeichnis aller Br�cken durch, die das Amt betreut. Das
Okarbener Bauwerk aber geh�rt nicht dazu. "Dann sind wir auch nicht
zust�ndig." Auch der dritte m�gliche Besitzer
wiegelt ab: "Die Br�cke geh�rt nicht der Bahn", sagt deren Sprecher
Helmut Lange aus Frankfurt. Das sei aus der Historie her logisch, sei
das Bauwerk doch offenkundig f�r eine Stra�e gebaut worden.
Der Beton
br�ckelt
Und wer k�mmert sich nun um die Br�cke, unter der t�glich
hunderte Z�ge hindurch fahren? "Der Eigent�mer muss daf�r Sorge tragen,
dass nichts herunterf�llt", erkl�rt Bahnsprecher Lange. Wer das ist? Das
wei� er auch nicht. Lange beruhigt aber: "Im Zuge der
Streckenkontrollen achten wir nat�rlich darauf, dass nichts lose ist."
Um das �brige Gel�nde der Br�cke sorgt sich hingegen seit Jahrzehnten
Familie Springer. "Mit Genehmigung der Bahn", berichtet Lieselotte
P�hlmann. Sie bepflanzt das Umfeld jedes Fr�hjahr liebevoll.
Auf der Westseite bewirtschaftet die Familie einen
Garten auf dem Gel�nde eines schon lange abgerissenen
Bahnw�rterh�uschen. Zuvor hatten Leute dort jahrelang im Schutz der
Nacht Schutt abgeladen. Auf der Ostseite hat Familie Springer die Fl�che
von der Stadt gepachtet, lagert dort Kaminholz.
Dass sich jedoch keine Beh�rde den Bau ans Bein binden will � liegt das
wohl an den hohen Folgekosten? Stadtsprecher B�ing l�chelt: "Naja, die
Frage regelt sich ja im Zuge des Ausbaus." Dann wird der Abrissbagger
anr�cken. "Das werden wir sicher nicht mehr
erleben", sagt Lieselotte P�hlmann. Und dass der h�ssliche Betonklotz
erstmal weiter ihr Nachbar ist, st�rt die Seniorin nicht. "Daran habe
ich mich gew�hnt." Sie k�mmert sich lieber um die Bl�tenpracht im
Garten. Einem der sch�nsten in der ganzen Stadt. Frankfurter Neue Presse, 13. Mai 2011
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